Montessori oder die Förderung zur Selbstwirksamkeit
Die Pädagogik nach Maria Montessori basiert auf den Bedürfnissen des Kindes. Sie unterstützt jedes Kind bei seiner individuellen Entwicklung, indem sie ihm Raum für freie Entscheidungen gibt und ihm hilft, selbständig zu denken und zu handeln. Es wird dabei besonders auf die sensiblen Perioden (Phasen, in denen der Mensch etwas mit Leichtigkeit aufnimmt) des Kindes eingegangen.
Die auf der Montessori-Pädagogik basierende Erziehung geht davon aus, dass es nur der Mensch selbst sein kann, der sich erzieht. Wahre Erziehung und Entwicklung kann nicht von Außen herangetragen werden, sie findet im Individuum selbst statt. Um eine optimale Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten zu gewährleisten, ist es entscheidend eine Umgebung zu gestalten, die den inneren Bedürfnissen des Kindes entspricht. In dieser sogenannten vorbereiteten Umgebung hat jedes Material seinen festen Platz und ist für das Kind leicht zugänglich. Die klare Anordnung der Lernmaterialien hilft dem Kind einerseits, sich in seiner Umgebung richtig zu orientieren, andererseits lernt das Kind durch die Äußere Ordnung, eine eigene innere Ordnung zu finden. (Bild rechts: Annamaria Fisler)
Während des Unterrichts bewegt sich das Kind frei. So wird der natürliche Bewegungsdrang des Kindes nicht unterdrückt. Das Kind holt sich das von ihm gewünschte Lernmaterial und bringt dieses später auch selbständig wieder zurück.
Durch den starken Aufforderungscharakter des Lernmaterials, findet das Kind Interesse an den zu vermittelnden Lerngebieten. Es entwickelt Freude und Behutsamkeit beim Umgang mit dem Material. Die Lehrperson drängt sich im Allgemeinen nicht auf, sie bleibt lediglich Beobachter und hilft gezielt wo dies notwendig ist. Beim Umgang mit unbekanntem Lernmaterial wird das Kind eingeführt ansonsten arbeitet es selbständig.
„Wir müssen dem Kind dabei helfen, selbst zu handeln, selbst zu wollen, selbst zu denken.“
Maria Montessori
Durch die Arbeit mit den Kindern begann Maria Montessori den kindlichen Entwicklungsstand zu beobachten und entsprechende Materialien zu entwickeln. Diese erprobte sie in ihrem ersten Kinderhaus (Casa dei Bambini) in San Lorenzo, Rom. Durch zahlreiche Vorträge vermittelte sie ihr Wissen weiter. So entstanden in Italien und auf der ganzen Welt neue Kinderhäuser. Noch heute hat ihre Pädagogik einen hohen Stellenwert. Im Zentrum ihres Unterrichts stand eine ganzheitliche Erziehung. Sie förderte bei den Kindern ihre individuellen Begabungen und achtete auf die Entwicklung einer ausreichend grossen sozialen und emotionalen Kompetenz. (Bild rechts: Annamaria Fisler, 2013)
Jedes Kind soll seine Eigenheiten bewahren können, indem es durch selbständige Arbeit seine individuellen Bedürfnisse befriedigt. Sein Selbstvertrauen stärkt sich, seine Persönlichkeit wächst und dadurch die Freude am Mitmenschen und die Fähigkeit zur Gemeinschaft.
Gemeinschaft kann nur dort entstehen, wo Verschiedenheit akzeptiert wird. In der Montessori-Pädagogik wird auf die Verschiedenheit der Kinder Rücksicht genommen!
Sensible Phasen, alles zu seiner Zeit
Die kindliche Entwicklung vollzieht sich in Phasen. Den Begriff und die Eigenart dieser sensiblen Phasen, auch sensible/sensitive Perioden, hat niemand so präzise herausgearbeitet und so sorgfältig beschrieben wie Maria Montessori. Worum geht es dabei genau?
Es handelt sich um besondere Empfänglichkeiten, die in der Entwicklung der Lebewesen auftreten. Sie sind von vorübergehender Dauer und dienen dazu, dem Lebewesen die Erwerbung einer bestimmten Fähigkeit zu ermöglichen. Sobald das geschehen ist, klingt die betreffende Empfänglichkeit unwiderruflich wieder ab. So entwickelt sich jeder Charakterzug aufgrund eines Impulses und während einer eng begrenzten Zeitspanne. (Montessori 1978)
Montessori untergliedert die Entwicklung vom Säugling zum Erwachsenen in vier aufeinander folgenden Phasen. In jeder vorangegangenen sensiblen Phase wird das Fundament für die darauffolgende gelegt.
0 bis 3 Jahre, das Kleinkindalter | 3 bis 6 Jahre, das Kleinkindalter |
Sensibilität für Ordnung Sensibilität für Bewegung Sensibilität für Sprache | Sensibilität für Bewusstseinsentwicklung Sensibilität für soziales Zusammenleben Sensibilität für die Vervollkommnung bereits gemachter Errungenschaften |
6 bis 12 Jahre, die Kindheit | 12 bis 18 Jahre, Jugend- & Pubertätsalter |
Sensibilität für neue soziale Beziehungen Sensibilität für die Entwicklung eines moralischen Bewusstseins Sensibilität für Abstraktionen | Sensibilität für Gerechtigkeit und Menschenwürde Sensibilität für soziale und gesellschaftliche Prozesse Sensibilität für wissenschaftliche Erkenntnisse Sensibilität für politische Verantwortung |
Wichtige Merkmale
Die Montessori-Pädagogin
Sie steht im Hintergrund und beobachtet jedes Kind einzeln. Durch die genauen Beobachtungen, ist sie im Stande die Bedürfnisse und den Entwicklungsstand des Kindes zu erkennen und es entsprechend für Neues anzuregen. Sie interveniert nicht und leistet nur dann Hilfe, wenn sie vom Kind dazu aufgefordert wird.
„Die Vorbereitung der Umgebung und die Vorbereitung des Lehrers sind das praktische Fundament unserer Erziehung. Immer muss die Haltung des Lehrers die der Liebe bleiben. Dem Kind gehört der erste Platz, der Lehrer folgt ihm und unterstützt es. Er muss auf seine eigene Aktivität zugunsten des Kindes verzichten. Er muss passiv werden, damit das Kind aktiv sein kann.“ (M. Montessori 1997)
Die vorbereitete Umgebung
„Hilf mir es selbst zu tun“: In der sogenannten vorbereiteten Umgebung kann jedes Kind selbst entscheiden, was es arbeiten möchte. Auf diese Art kann es seinen individuellen Interessen nachgehen. Wenn ein Kind das Material noch nicht kennt und noch nie damit gearbeitet hat, zeigt die Montessori-Pädagogin ihm die Handhabung. Manchmal helfen sich die Kinder aber auch untereinander.
Das Montessori-Material
Was ist eigentlich das Montessori-Material und was kann man sich darunter vorstellen? Das Montessori-Material hat einen starken Aufforderungscharakter, dadurch findet das Kind Interesse an den dadurch vermittelten Lerngebieten.
Jedes Material hat seinen festen Platz. Es steht in offenen Regalen und ist nach Bereich sortiert. Das Mobiliar ist in der Höhe kindgerecht und das Material ist dadurch für das Kind immer griffbereit. Jedes Material ist nur einmal vorhanden, so kommen auch soziale Aspekte wie teilen, warten können, Konflikte lösen usw. zum tragen. Das Kind wählt sich ein Material aus und arbeitet solange daran bis es kein Interesse mehr hat. Die Montessori-Pädagogin steht dabei im Hintergrund und beobachtet das Kind. Wenn es Hilfe braucht, interveniert sie, ansonsten arbeitet das Kind selbständig.
Fehlerkontrolle
Jedes Material verfügt über eine Fehlerkontrolle. Diese ermöglicht dem Kind die Unabhängigkeit vom Erwachsenen. Das Kind erkennt seine Fehler selbst, korrigiert sich auch selbst und kann sich dadurch am eigenen Erfolg freuen.
Freie Wahl der Arbeiten
Das Kind wählt sich ein Material frei aus und arbeitet so lange daran bis es kein Interesse mehr hat. Dadurch lernt es einerseits, Entscheidungen selbst zu treffen und andererseits, lernt es seine Interessen wahrzunehmen.
Bewegung
Während des Unterrichts bewegen sich die Kinder frei, dadurch wird der natürliche Bewegungsdrang der Kinder nicht unterdrückt. Das Kind arbeitet am Tisch oder am Boden auf einem Teppich.
Die 4 Bereiche und ihre Anwendungen
Sinnesmaterial
Im Bereich „Sinnesmaterial“ werden beim Kind alle Sinne angeregt. Sie fördern die Wahrnehmung.
Sprache
Im Bereich „Sprache“ wird der Wortschatz erweitert und das Sprachverständnis gefördert und es wird eine Einführung ins Lesen und Schreiben angeboten.
Mathematik
Im Bereich „Mathematik“ wird dem Kind eine Einführung in die Welt der Zahlen und Mengen gegeben. Dabei wird das mathematische Denken gefördert.
Kosmische Erziehung
Im Bereich „Kosmische Erziehung“ werden die Themen zur Welt und Umwelt des Kindes erlebbar gemacht. Es kann dadurch Zusammenhänge erkennen.
Das Leben von Maria Montessori
„Ein Leben für Kinder“
Vor über hundert Jahren (6. Januar 1907) entwickelte eine junge Italienerin eine neue Erziehungs- und Lernmethode, die auf Ermutigung und Achtung gründet.
Maria Montessori wird am 31. August 1870 als einziges Kind des Finanzbeamten Alessandro Montessori und seiner Frau Renilde, geb. Stoppani, in Chiaravalle bei Ancona in Italien geboren. Einem Land, das zu dieser Zeit Frauen gegenüber eine besonders konservative Einstellung hatte.
Nach dem Besuch der sechsjährigen Grundschule (1876 – 1883) setzt sie es durch, dass sie die naturwissenschaftlich-technische Sekundarschule (1883 – 1890) besuchen darf. Gegen den Willen ihres Vaters hat sie schließlich erreicht, als erste Frau Italiens von 1892 – 1896 ein Medizinstudium zu absolvieren, welches sie am 10. Juli 1896 erfolgreich mit einer Promotion abschließt. Diese Tatsache erregt international Aufsehen. Im September 1896 hält sie auf einem internationalen Frauenkongress in Berlin Vorträge zur Emanzipation der Frau.
Im November 1896 noch als Assistenzärztin in der Chirurgischen Klinik, ist sie ab 1897 in der psychiatrischen Klinik der Universität Rom tätig. Ein Schlüsselerlebnis in einer so genannten Heilanstalt – sie erlebt, wie angeblich geistesschwache Kinder mit Brotresten Figuren formen und schließt dadurch auf deren Entwicklungspotenzial – lässt sie nach neuen Wegen für die pädagogische Arbeit mit geistig Behinderten suchen. Sie studiert die medizinisch-heilpädagogischen Schriften der Franzosen Jean Marie Itard und Gaspard Seguin.
Ab 1899 übernimmt sie eine Dozentur am Ausbildungsinstitut für Lehrerinnen in Rom. Sie unterrichtet Hygiene und Anthropologie. 1900 wird sie zur Leiterin eines pädagogischen Institutes zur Ausbildung von Lehrern für behinderte Kinder berufen. Dort wird unter ihrer Anleitung ihre Methodik zur Erziehung und Unterrichtung geistig behinderter Kinder vermittelt.
Persönliche Umstände bewegen sie dazu, sich 1902 vertieft dem Studium der Pädagogik zu widmen. Sie gibt gleichzeitig die Institutsleitung ab. In den Jahren von 1904 bis 1908 hält sie Vorlesungen über Anthropologie und Biologie am Pädagogischen Institut der Universität Rom und arbeitet in verschiedenen Formen bei der Ausbildung von Lehrerinnen mit. Etliche medizinische Publikationen erscheinen.
Am 06. Januar 1907 eröffnet Maria Montessori das erste „Casa dei Bambini“ (Kinderhaus) im römischen Elendsviertel San Lorenzo. Die überraschenden pädagogischen Erfolge, die sie bei ihrer Arbeit mit den „normal begabten“ Kindern hatte, wiederholten sich mit Kindern aus den sozial schwächeren Familien. Viele Kinder waren aggressiv, unruhig oder ungezogen.
In der Folge gibt sie ihre Erkenntnisse in Ausbildungskursen national und international weiter; ihr erster Kurs findet 1909 statt. Gleichzeitig veröffentlicht sie ihre wesentlichen Grundgedanken. 1911 gibt sie ihre Arztpraxis auf, um sich ausschließlich der internationalen Verbreitung ihrer Pädagogik zu widmen. Es folgen längere Reisen in die Vereinigten Staaten, wo ihre Pädagogik begeistert gefeiert wird. 1916 siedelt sie nach Barcelona über, um dort ein Haus der Kinder, die in der Kirche leben, zu gründen und pädagogisch zu betreuen.
Verschiedene Reisen führen Maria Montessori nach England sowie in die Niederlande, durch Italien und nach Deutschland. Parallel dazu finden ihre nationalen und internationalen Ausbildungskurse statt. International werden immer mehr Montessori-Schulen und Montessori-Kinderhäuser gegründet. Der Einflussbereich der Montessori-Pädagogik erstreckt sich von Europa in die Vereinigten Staaten bis nach Indien und Japan.
Die unermüdlich reisende und tätige Maria Montessori kämpft in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmend für die Erhaltung des Friedens. In Aufsehen erregenden Vorträgen macht sie deutlich, in welchem Masse Frieden und Erziehung zusammenhängen.
Als Maria Montessori 1946 nach Europa zurückkehrt, ist ihr Lebenswerk im kriegszerstörten Europa nahezu vernichtet. Unermüdlich reisend, Kurse und zahlreiche Vorträge haltend, erlebt die nahezu 80-Jährige zumindest in den Niederlanden, zunehmend aber auch im übrigen Europa ein Wiederaufblühen ihres Lebenswerkes.
Am 06. Mai 1952 stirbt Maria Montessori überraschend in Nordwjik aan Zee in den Niederlanden. Auf ihrem Grabstein auf dem katholischen Friedhof steht in italienischer Sprache:
„Io prego i cari Bambini che possono tutto, di unirsi a me per la costruzione della pace negli uomini e nel mondo.“ („Ich bitte die lieben Kinder, die alles können, mit mir zusammen für den Aufbau des Friedens zwischen den Menschen in der Welt zu arbeiten“).
Montessoris Werk lebt heute weiter. Ihr Konzept kann in fast jeder Situation angewandt werden. Viele Menschen schätzen das ruhige, verantwortungsbewusste Verhalten der Montessori-Kinder sowie ihre Liebe zum Lernen. Andere rühmen die Freiheit, Spontaneität und Unabhängigkeit, welche die Montessori-Methode kleinen Kindern schenkt.
Autorin: Annamaria Fisler, www.annamariafisler.ch